Der pure Wein

Mai 25

Manchmal denke ich darüber nach,
wie Wein sein könnte – wenn man ihn einfach ließe.
Wenn niemand dreinredet.
Keine Analyse, kein Schema.
Nur die Traube, der Most, das Werden.

Ich stelle mir vor, ihn zu pressen und dann …  nichts weiter.
Nur schmecken. Wieder und wieder.
Nicht zu fragen,
ob der biologische Säureabbau abgeschlossen ist.
Nicht auf Diagramme zu schauen.
Sondern einfach: probieren, vertrauen, fühlen.

Ein Risiko?
Ja.
Bei 1.000 Litern würde ich zögern.
Aber 2024 war kein Jahr für große Mengen.
Der Frost kam zur Blüte. Und nahm sich zwei Drittel.
Was blieb, waren vielleicht 100 Liter – dort, wo sonst 800 oder 900 fließen.

Also wagte ich es.
Ich hatte ihn so nie gemacht. Nie gemacht machen können. Nie gemacht machen wollen?
Ich hatte ihn gesucht – im Innen wie im Außen.
Und dann, irgendwann, eines Tages, da war da plötzlich dieser Moment:
Nicht der Mut war es, nicht die Wut, sondern ein leiser Entschluss.
Ich machte den Wein, wie er mir immer vorschwebte.
Nicht aus Trotz, nicht aus Eigensinn.
Eher wie das Aufflackern eines alten Traums,
der in mir lag wie eine Ahnung –
nicht als Richtung, sondern als Schweben über einem weiten Feld,
wie Grass es vielleicht geschrieben hätte.

Gepresst, gären lassen – und dann: nicht eingreifen.

Im Frühjahr 2025 hab ich ihn zum ersten Mal wirklich geschmeckt.
Halleluja, so spricht er also aus dem Glas.
Der Säureabbau war noch im Gang. Aber es prickelte leicht. Und es schmeckte.
Fruchtig. Fast wie halbtrocken.
Ich füllte 25 Flaschen. Nur für mich.
Zum Staunen. Zum Probieren.

Klar, ich hab ihn nicht gefiltert.
Was wäre auch der Sinn?
Es sollte ein purer Wein sein.
So, wie ich ihn immer gedacht habe.

Nun bleibt die Frage:
Hält er sich?
Wird er in einem dreiviertel Jahr noch sprechen?
In anderthalb Jahren?
Oder verstummt er?
Ich weiß es nicht.
Aber ich hoffe, ich rette die Flaschen über ein Jahr.
Um zu sehen, ob er bleibt. Oder sich wandelt.
Vielleicht sogar besser wird.

Ein lieber Freund, ein sehr guter Kellermeister mit jahrelanger Erfahrung,
meinte zu meinem inneren Wunsche, meiner großen Vision:
Vielleicht ist es der Anfang eines neuen Weges, vielleicht ein stiller Wandel.
Doch nur, wer den Weg wagt, kann auch sehen, wohin er einem führt.

Ich bin gespannt.
Bei der nächsten Verkostung wird er dabeisein.
Der pure Wein.
Ein Traum im Glas.

zum Wein

Saale-Unstrut Biowein

April 25

Warum ich Bio mache?
Es ist eine Frage, die mir nicht selten gestellt wird.
Nicht von jenen, die den Wein verkosten, noch von denen, die zufällig am Weinberg vorbeistreifen und mit neugierigen Blicken das Tor durchschreiten.
Es sind eher die anderen.
Die, die rechnen.
Die, die Gewinn und Verlust in gleichen Spalten führen.
Die, die meinen, Wein sei Wein – ob Bio oder nicht.

„Warum machst du das eigentlich?“

Ich habe mir vorgenommen, es aufzuschreiben. Für mich.
Für jene, die fragen.
Und vielleicht auch für die, die nie gefragt hätten.

Bio bedeutet in unserem Fall:
Wir lassen die Natur in Ruhe.
Wir greifen nicht ein, wo sie sich selbst genügt.
Wir düngen mit dem, was wir haben – mit Kompost, den wir selbst gemacht und ausgebracht haben.
Wir spritzen selten, und wenn, dann mit Backpulver oder in den seltenen Fällen mit einer Prise Kupfer – nur dann, wenn das Wetter drückt und die Luft nicht mehr atmet.

Ich gehe fast täglich durch den Weinberg.
Am Morgen von unten nach oben, abends in umgekehrter Richtung.
Ich kenne jeden Stein, jede Senke, jede Stelle, wo der Wind nicht greift.
Dort beginnen die ersten Symptome – dort zeigt sich zuerst, was kommt.

An den Rändern haben wir Hagebutten stehen lassen –
Zeigerpflanzen, wie mein Onkel Paul sie nannte.
Er hatte Jahrzehnte lang den Berg betreut.
„Wenn die Hagebutte mehlt, dann weißt du: es wird Zeit.“
Jetzt stehen sie da wie stille Wächter.
Wir halten sie im Zaum, aber sie sind da.
Und sie sprechen.

Seit der Umstellung 2014 ist der Boden nicht mehr derselbe.
Er lebt.
Regenwürmer sind zurückgekehrt, ganze Kolonien von Ameisen.
Manchmal buddelt ein Dachs tiefe Löcher,
und wenn ich still bin, höre ich Schmetterlinge fliegen.
Ich weiß nicht, ob das alles früher auch da war.
Aber heute sehe ich es.

Wir lassen das Gras stehen –
nicht aus Nachlässigkeit, sondern aus Respekt.
Es beschattet den Boden, schützt ihn, hält die Feuchtigkeit.
Wenn es zu hoch wird, mähen wir es, bevor es blüht.
Das Schnittgut schieben wir zu den Reben –
eine Mulchdecke, schützend wie eine zweite Haut.

Der Rebschnitt?
Den verbrennen wir nicht mehr.
Wir verkohlen ihn auch nicht.
Wir legen ihn rund um die Stöcke –
ein Gedenken, ein Schutz, ein Rückgeben.

All das ist Bio.
Nichts, was wir tun, ist spektakulär.
Es ist eher ein Weniger, ein Weglassen.
Und gerade deshalb braucht es ein Zertifikat.

Nur mit dieser Bescheinigung darf ich sagen, dass ich auf all das verzichte.
Nur dann darf ich auf die Flasche schreiben, was ich tue – oder besser: was ich nicht tue.
Ein konventioneller Kollege hingegen, der die Chemieflasche schüttelt,
muss nichts deklarieren.
Keine Kennzeichnung, kein Hinweis, kein Siegel.

Die Wahrheit liegt nicht auf dem Etikett.
Und das ist – bei allem Respekt – ein Stück weit verrückt.

Vielleicht, ja vielleicht, schreibe ich mal eine Geschichte darüber.
Eine fiktive, versteht sich.
Eine Welt, in der alles umgekehrt ist.

Aber die Antwort auf die Frage „Warum ich Bio mache?“ –
sie endet hier noch nicht.
Denn da war noch dieses französische Mädchen.
Damals, in meiner Jugend.
Sie spielte Geige, roch nach Lavendel
und sprach mit mir über Böden, als seien es Wesen.

Aber das…
ist eine andere Geschichte.

Der pure Wein 2023 Bio Riesling Saale-Unstrut ungefiltert